Aus Protest gegen die Sozialpolitik lehnten die Hagenbucher im Dezember ihr Budget ab. Wiederholen sie das, müsste erstmals in der Kantonsgeschichte der Bezirksrat Budget und Steuerfuss bestimmen.
Während die Welt derzeit gebannt auf die widerspenstigen Griechen in ihren Verhandlungen mit den europäischen Geldgebern starrt, spielt sich auch in einer kleinen Zürcher Gemeinde Eigentümliches ab. Vor nicht allzu langer Zeit nämlich probte auch Hagenbuch, ein Dorf an der Grenze zu Thurgau, den finanzpolitischen Aufstand. Das «Sozialdiktat» von Bund und Kanton sei man nicht länger gewillt zu akzeptieren, hiess es damals an der Gemeindeversammlung im Dezember. Die Atmosphäre war aufgeladen im überfüllten Gemeindehaus, fast die Hälfte der Anwesenden konnte keinen Sitzplatz mehr ergattern. Aus Protest gegen verfehlte Sozial- und Asylpolitik lehnte die Mehrheit (82 zu 52) schliesslich das Budget und damit auch eine Steuererhöhung um fünf Prozentpunkte ab.
Der Showdown
Heute Donnerstag nun kommt es zum finalen Showdown. Noch einmal werden die Hagenbucher über ihr Budget befinden können. Dabei stellt der Gemeinderat exakt die gleichen Anträge wie noch im Dezember. Während die damalige Ablehnung aber nur zur Folge hatte, dass die Gemeinde vorübergehend mit einem Notbudget kutschieren musste, hätte eine zweite Ablehnung gravierendere Konsequenzen: Dann nämlich müsste der Bezirksrat die Zügel in die Hand nehmen. Er würde den Hagenbuchern nicht nur ein Budget, sondern auch einen Steuerfuss vorschreiben. Ein Vorgang, der in der Zürcher Geschichte einmalig wäre.
«Es kommt immer wieder vor, dass Gemeinden eine Weile lang nur ein Notbudget haben. Dass aber der Bezirksrat eingreifen muss, das hat es in Zürich noch nie gegeben», sagt Heinz Montanari, Leiter Gemeindefinanzen im Gemeindeamt. Grundsätzlich hätte der Bezirksrat die Möglichkeit, voll ins Budget einzugreifen, so könnte er die Ausgaben der Gemeinde theoretisch auf ein Minimum beschränken. Da praktische Erfahrungen fehlen, ist es aber unklar, wie im Fall von Hagenbuch konkret vorgegangen würde.
Zuständig wäre der Bezirksrat Winterthur. «Wir haben uns vor einem Jahr eine Strategie für diese Situation zurechtgelegt, als in der Stadt Winterthur ums Budget gekämpft wurde», sagt Bezirksratspräsident Meinrad Schwarz. Grundsätzlich sei es so, dass man einer Gemeinde auch nach zweimaliger Budgetablehnung nochmals eine kurze Frist gewähren könne, um das Problem selbst in den Griff zu bekommen. «Wir könnten uns vorstellen, dass wir Hagenbuch diese gewähren würden.» Lässt die Gemeinde die Frist aber ungenutzt verstreichen, muss das Budget aufsichtsrechtlich festgesetzt werden.
Was wollen die Hagenbucher?
Dabei hätte der Bezirksrat ein gewichtiges Problem: Es ist nicht klar, was die Hagenbucher eigentlich wollen. Zumindest an der letzten Gemeindeversammlung wurden keine konkreten Sparanträge gestellt. Vielmehr wurde der Voranschlag aus Protest gegen die Betreuungskosten für eine Flüchtlingsfamilie abgelehnt. Just in jenem Bereich gilt aber übergeordnetes Recht, der Bezirksrat kann an diesen Ausgaben nichts ändern. Man würde den Voranschlag wohl zusammen mit dem Gemeinderat erarbeiten, sagt Schwarz. «Dabei stünde zur Diskussion, allenfalls einen noch höheren Steuerfuss festzulegen.» Denn trotz der Erhöhung um 5 Prozentpunkte, die der Gemeinderat vorschlägt, rechnet die Gemeinde mit einem Defizit von 700 000 Franken; dies bei Einnahmen von nur 5,8 Millionen Franken.
Emotionen gegen Argumente
Gemeindepräsidentin Therese Schläpfer geht davon aus, dass die Bevölkerung das Budget im zweiten Anlauf durchwinkt – trotz unveränderten Anträgen. Die Bevölkerung habe im Dezember einfach ein Zeichen setzen wollen. Schläpfer hatte damals schon für die Annahme des Budgets plädiert.
Dass es in der Gemeinde aber einen derartigen Aufruhr gegeben hat, daran ist sie selbst nicht ganz unschuldig. Mitte September beklagte sie in den Medien die horrenden Kosten, welche die Betreuung der kinderreichen Familie aus Eritrea verursache. Monatliche Ausgaben von 60 000 Franken machten die Runde. Wegen einer einzigen Familie müsse Hagenbuch die Steuern erhöhen, sagte Schläpfer gegenüber dem «Blick», der prompt «Sozial-Irrsinn» titelte.
Wie sich später herausstellen sollte, trägt der Kanton einen grossen Teil der Kosten. Tatsächlich hat es denn auch ganz andere Gründe, dass Hagenbuch die Steuern erhöhen muss. Die Gemeinde hatte die Steuern zuvor deutlich gesenkt, um damit ihr hohes Eigenkapital abzubauen. Nun will die Exekutive den Steuerfuss lediglich wieder auf ein Niveau erhöhen (111 Prozent), das der eher steuerschwachen Gemeinde entspricht. Damit kann sie wieder stärker vom kantonalen Ressourcenausgleich profitieren, dessen Höhe von der Steuerkraft und dem Steuerfuss abhängt. Ein tieferer Steuerfuss würde der Gemeinde also gleich doppelt schaden: Geringere Steuereinnahmen und weniger Ressourcenausgleich wären die Folge.
Ob rationale Argumente oder blinde Emotionen obsiegen, wird sich an der Gemeindeversammlung zeigen. Nur: Wer die Abhängigkeit von Bund und Kanton kritisiert, sollte eigentlich verhindern wollen, dass ihm der Bezirksrat die Finanzpolitik diktiert.
Die Regeln zum Budgetprozess
jhu. ⋅ Die Gemeinden müssen Budgets und Steuerfüsse für das kommende Jahr bis am 31. Dezember festlegen. Wird ein Budget im ersten Anlauf abgelehnt, so gelingt es meist nicht fristgerecht, eine zweite Versammlung einzuberufen. Die Gemeinde muss das Jahr in diesem Fall mit einem Notbudget beginnen. Das heisst, dass nur noch unerlässliche Ausgaben getätigt werden dürfen. Was das in der Praxis heisst, muss die Exekutive von Fall zu Fall entscheiden. Löhne an die Verwaltungsangestellten werden weiterhin ausbezahlt. Nicht zulässig wäre es dagegen, neue Stellen zu schaffen. Erst wenn das Budget zum zweiten Mal abgelehnt wird, übernimmt der Bezirksrat das Budgetieren.